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02.05.13: Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik vor

Übergabe der Ethikratstellungnahme zur Zukunft der genetischen DiagnostikDer Deutsche Ethikrat hat eine im Oktober 2011 von der Bundesregierung im Auftrag gegebene Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik erarbeitet. Die Stellungnhame wurde nun am 30.04.13 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt und an die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, übergeben.

Auf gut 200 Seiten beleuchtet das Beratungsgremium der Bundesregierung und des Bundestages nach einer Erläuterung von Grundbegriffen und Fakten sowie Hintergründen zu genetischen Einflüssen auf Gesundheit und Lebensgestaltung, die neuen Entwicklungen von Methoden der genetischen Diagnostik, die Aussagekraft genetischer Tests und Anwendungsbereiche der Gendiagnostik. Des Weiteren gibt der Rat einen Überblick über den diesbezüglichen rechtlichen Ordnungsrahmen und die ethische Herausforderungen sowie eine Zusammenfassung und Empfehlungen.

Ausgehend vom Recht auf Wissen, auf Nichtwissen und auf informationelle Selbstbestimmung der von einem Gentest betroffenen Personen empfiehlt der Deutsche Ethikrat insbesondere Maßnahmen zur verbesserten Information, Aufklärung und Beratung. Darüber hinaus fordert er unter anderem besondere Regelungen für die Durchführung pränataler Gendiagnostik, für den Schutz von Nichteinwilligungsfähigen sowie für die Qualität von Gentests und ihre Finanzierung im Gesundheitswesen. Zudem gibt er nicht nur Empfehlungen für politisches und gesetzgeberisches Handeln, sondern möchte zugleich die öffentliche Diskussion über zukünftige Entwicklungen der genetischen Diagnostik fördern.

Hintergrund der Stellungnahme

Wie der Ethikrat in dem Papier erläutert haben durch sinkende Kosten und schnellere Analysen sowie durch Diagnostik-Angebote, die sich über das Internet direkt an den Kunden wenden, immer mehr Menschen Zugang zu genetischer Diagnostik. Zudem können bis hin zur Gesamtgenom-Sequenzierung immer leichter umfangreiche genetische Informationen über einen Menschen oder über eine Personengruppe erhoben werden. Bei Ungeborenen ist durch Untersuchung aus mütterlichem Blut genetische Diagnostik ohne das eingriffsbedingte Risiko einer Fehlgeburt möglich.

Aus der großen Menge an genetischen Daten werden durch unterschiedliche Auswertungen Befunde mit unterschiedlicher Bedeutung erhoben. Manche sind für die medizinische Versorgung sehr hilfreich, andere erbringen belastende Informationen ohne Eingriffsmöglichkeit, wieder andere sind von unklarer Relevanz. Die Gefahr von Fehlinterpretationen und Missverständnissen sei groß, wenn genetische Diagnostik nicht auf qualitativ hohem Niveau und unter Berücksichtigung auch nicht genetischer Faktoren angeboten und durchgeführt werden.

Vor diesem Hintergrund schlägt der Ethikrat vielfältige Maßnahmen zum Schutz von Selbstbestimmung und Gesundheit sowie zur Wahrung von Gerechtigkeit und Solidarität im Gesundheitswesen sowie in der Gesellschaft vor.

23 Empfehlungen zur allgemeinen Gendiagnostik

In 23 Empfehlungen zur Gendiagnostik im Allgemeinen fordert der Deutsche Ethikrat erstens Verbesserungen bei der Information der Bevölkerung sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildung der im Gesundheitswesen Tätigen zu verfügbaren Gentests, ihrer Bedeutung und Aussagekraft. Er empfiehlt zweitens mehrere Änderungen des Gendiagnostikgesetzes, um angesichts der neuen Entwicklungen hohe Standards bei der Aufklärung und Beratung zu garantieren. Dabei geht er auf Überschussinformationen und Nebenbefunde, auf die Information von Angehörigen sowie auf die Belange von nichteinwilligungsfähigen Personen ein. Er empfiehlt insbesondere mehrheitlich, dass künftig auch bei Gentests zu nichtmedizinischen Zwecken medizinische Aufklärung und Beratung erforderlich wird, da es selbst bei solchen Tests zu medizinisch relevanten Erkenntnissen kommen kann.

Zum Schutz vor Risiken und Belastungen durch sogenannte Direct-to-Consumer-Gentests fordert der Ethikrat drittens verbesserte und EU-weite Maßnahmen zur unabhängigen Verbraucheraufklärung sowie zum Patienten- und Verbraucherschutz. Darüber hinaus gibt er Empfehlungen zur Übernahme der Kosten therapiebegleitender Diagnostik im Gesundheitswesen, zur technischen Qualitätssicherung, zur Forschungsförderung sowie zur Forschungs- und Gesundheitspolitik.

Neun Empfehlungen zur Pränataldiagnostik

In neun Empfehlungen zur Pränataldiagnostik betont der Ethikrat zunächst, dass den Eltern, die sich für ein Kind mit Beeinträchtigung entscheiden, hohe gesellschaftliche Wertschätzung gebührt, und fordert für betroffene Familien mehr Entlastung. Mit Blick auf einen seit geraumer Zeit angebotenen Bluttests zur Früherkennung des Downsyndroms bei Embryonen hält er eine Bindung pränataler genetischer Untersuchungen an weiterführende differenzierende Ultraschalluntersuchungen und an eine unabhängige psychosoziale Beratung für unverzichtbar. Darüber hinaus empfiehlt er die Förderung sozialempirischer und ethischer Begleitforschung zur genetischen Pränataldiagnostik.

Die Mehrheit der 26 Mitglieder des Ethikrates verlangt darüber hinaus, die Durchführung einer genetischen Pränataldiagnostik an das Vorliegen eines erhöhten Risikos für eine genetisch bedingte Störung zu binden. Es solle sichergestellt werden, dass keine nicht krankheitsrelevanten genetischen Informationen über das Ungeborene und auch keine bloßen Anlageträgerschaften ohne gesundheitliche Relevanz für das Kind mitgeteilt werden. Für den Fall, dass genetische Informationen über das Ungeborene schon in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach der Befruchtung vorliegen, hält die Mehrheit der Ethikrat-Mitglieder außerdem die Pflichtberatung nach § 218a Abs. 1 Strafgesetzbuch vor einem Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der sogenannten Beratungslösung nicht für ausreichend und fordert die Einführung eines darüber hinausgehenden Schutzkonzepts. Wie dieses konkret aussehen soll, lässt der Ethikrat offen.

Zwei abweichende Sondervoten

Hiervon abweichend fordern acht Ratsmitglieder in einem "Sondervotum 2", dass der Schwangeren der Zugang zu genetischen Informationen über das Ungeborene nicht erschwert wird, wenn sie diese als "unentbehrlich für ihre verantwortliche Entscheidung" ansieht. Mit Blick auf Empfehlungen zur Pränataldiagnostik im Hauptvotum heißt es weiter: "Zugleich würde mit diesen Empfehlungen, sofern der Gesetzgeber ihnen nachkäme, das gesellschaftlich breit akzeptierte Recht des Schwangerschaftsabbruchs verschärft." Sie sprechen sich daher gegen die vorgeschlagenen Beschränkungen genetischer Pränataldiagnostik aus. Diese Mitglieder empfehlen außerdem eine Änderung des Gendiagnostikgesetzes, um künftig auch die Untersuchung des Ungeborenen auf sogenannte spätmanifestierende Krankheiten, d.h. Krankheiten, die möglicherweise erst im späteren Alter auftreten, zu ermöglichen.

In einem "Sondervotum 1" fordern vier Ratsmitglieder, dass nichtinvasive pränatale Gentests weder durch öffentliche Fördermittel unterstützt noch in den Leistungskatalog der gesetzlichen und privaten Krankenkassen aufgenommen werden sollen. Sie begründeten ihre Forderung damit, dass dies im Widerspruch zu der im Rahmen der UN-Behindertenkonvention eingegangenen Verpflichtung stehe, die Rechte von Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen umfassend zu schützen.

Reaktionen auf die Ethikrat-Stellungnahme zur genetischen Diagnostik

In den Medien wurde die Ethikratstellungnahme relativ positiv aufgenommen, zumal sie einen fundierten Blick auf das Thema biete. Vereinzelt wurde kritisiert, dass manche Aspekte nicht weiter vertieft worden seien. Zudem sei insbesondere in Bezug auf die Sondervoten bei den genetischen Pränataltests eine Spaltung des Ethikrates deutlich geworden.

Von Seiten der Lebensrechtsverbände appellierte die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. dringend an den Deutschen Bundestag bei der nun absehbaren Novellierung des Gendiagnostikgesetzes in Deutschland künftig nur noch solche Gentests zuzulassen, bei denen nach Krankheiten gefahndet wird, für die es auch eine Therapie gibt.

"Der erste Teil der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates legt eindrucksvoll dar, wie gering bei allen vorhandenen und in der Entwicklung befindlichen genetischen Diagnoseverfahren die Aussichten auf eine über jeden Zweifel erhabene Diagnose sind und wie hoch stattdessen die Gefahr falsch positiver und falsch negativer Ergebnisse ist", so die ALfA-Bundesvorsitzende, Dr. med. Claudia Kaminski in einer Pressemitteilung. "Leider zieht die Mehrheit des Gremiums, mit Ausnahme der Unterzeichner des Sondervotums 1, daraus nicht an jeder Stelle die notwendigen Konsequenzen. Im Bereich der pränatalen Diagnostik sind die Ergebnisse genetischer Untersuchungen noch gravierender - geben die hier gestellten Diagnosen und Prognosen doch oft den Ausschlag dafür, dass Eltern eine vorgeburtliche Kindstötung erwägen und/oder in Auftrag geben", kritisierte Kaminski.

"Es gibt kein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch"

Auf das Schärfste verwart sich die ALfA gegen die im Sondervotum 2 niedergelegte Behauptung, es gäbe "ein gesellschaftlich breit akzeptiertes Recht des Schwangerschaftsabbruchs". Es sei "äußerst befremdlich", dass ausgerechnet Experten, die Bundesregierung und Bundestag in bioethischen Fragen beraten sollen, offenbar in Erinnerung gerufen werden muss, dass vorgeburtliche Kindstötungen in Deutschland wegen der besonderen Situation, in der sich Schwangere befinden, "straffrei" erfolgen können, wenn sich die Schwangere zuvor hat beraten lassen, jedoch keine rechtmäßigen Formen der Geburtenregelung darstellen. "Sie stehen - auch wenn der Gesetzgeber in vielen Fällen von einer strafbewehrten Ahndung absieht - vielmehr in einem krassen Widerspruch zu dem im Grundgesetz verbürgten Recht auf Leben", gab die Ärztin zu bedenken.

"Eltern, die Kinder erwarten, die Gefahr laufen, mit einer genetisch bedingten Krankheit geboren zu werden, benötigen alle Unterstützung, die ihnen die Solidargemeinschaft bieten kann. Es würde von einem hohen Maß an Inhumanität und Primitivität zeugen, wenn der Staat ihnen solche Hilfen versagen wollte und ihnen stattdessen ein "gutes Gewissen" zu machen sucht, wenn sie sich für eine Abtreibung entscheiden", so Kaminski.

Kritik kam auch von den Christdemokraten für das Leben (CDL), einer Lebensrechtsinitiative innerhalb der Union. Nach Auffassung der CDL-Bundesvorsitzenden Mechthild Löhr münde die systematisch betriebene Gendiagnostik "unweigerlich in eine positive oder negative Bewertung von Erbanlagen". Sie warnte davor, dass die inzwischen über einfache Bluttests mögliche Gendiagnostik das Zusammenleben der Menschen tiefgehend verändern werde.

Weiterführende Informationen:

Presseschau zur Ethikrat-Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik

Nachfolgend finden Sie chronologisch sortiert einige ausgewählte verlinkte Artikel/Pressemitteilungen zur Ethikrat-Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik.

Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik vor
Berlin. Der Deutsche Ethikrat hat im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik erarbeitet.
PRESSEMITTEILUNG Deutscher Ethikrat 30.04.13

Ethikrat plädiert für neue Regelungen bei der genetischen Diagnostik
Berlin ­ Der Deutsche Ethikrat fordert eine Stärkung der Patientenrechte durch Maßnahmen zur verbesserten Information, Aufklärung und Beratung der Bevölkerung.
AERZTEBLATT.DE 30.04.13

Zukunft der genetischen Diagnostik: Ethikrat fordert mehr Patientenschutz
Von Nicola Kuhrt
Gentests werden immer billiger, schneller und leichter verfügbar. Jetzt fordert der Deutsche Ethikrat eine Stärkung der Patientenrechte. Ausgerechnet zum umstrittenen Bluttest zur Früherkennung des Down-Syndroms kamen die Experten allerdings zu keinem gemeinsamen Votum.
SPIEGEL Online 30.04.13

Gendiagnostik: Der Blick ins Erbgut
Von Lilo Berg
Es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen, sagt Ministerin Wanka
BERLINER ZEITUNG 30.04.13

Ethikrat empfiehlt: Gentests nur noch aus den Händen von Ärzten
Ärzte Zeitung, 30.04.13

Beratung bei Pränataldiagnostik: "Schwangere werden allein gelassen"
Der deutsche Ethikrat hat eine umfassendere Beratung bei der Pränataldiagnostik gefordert.
TAGESSCHAU.DE 30.04.13

Zwischen Ablehnung und Befürwortung
Ethikrat bei Bewertung von Down-Syndrom-Bluttest gespalten
DOMRADIO 30.04.13

Das Recht auf Wissen und Nichtwissen
Ethikrat fordert neue Modelle zur Aufklärung über Gendiagnostik
Von Volkart Wildermuth
DEUTSCHLANDFUNK 30.04.13

Wenn der Gentest zur Massenware wird
Gentests werden im Kampf gegen Krebs oder bei der Pränatal-Diagnostik immer wichtiger. Aber welche Regeln sollen für den heiklen Umgang mit dem Wissen um mögliche Behinderung und Krankheit gelten?
Von Fanny Jimenez
WELT Online 30.04.13

Pränataldiagnostik: Wissen und Forschung lassen sich nicht verbieten
Der Ethikrat hat sich gegen ein Verbot von Bluttests zur Früherkennung des Downsyndroms ausgesprochen. Das ist gut so. Er sollte aber Risikopatientinnen vorbehalten bleiben.
Von Matthias Kamann
WELT Online 30.04.13

Gendiagnostik: Lebensschützer fordern strengere Regeln
AERZTEBLATT.DE 02.05.13

Pränataldiagnostik: Der Keil im Ethikrat
Der Deutsche Ethikrat empfiehlt dem Gesetzgeber, den Umgang mit Gendaten neu zu justieren. Doch bei der Pränataldiagnostik brechen alte ethische Konflikte wieder auf.
Von Florian Staeck
Ärzte Zeitung, 02.05.13

Was tun, wenn die Diagnose da ist?
Gentest: Der Deutsche Ethikrat empfiehlt mehr Patientenschutz und besser ausgebildete Mediziner. Streit über Test für Downsyndrom
Von Heike Haarhoff
TAZ 02.05.13

"Jede Frau muss für sich selbst entscheiden, was sie wissen will"
Interview: Andrea Hahne, die 39-jährig an Brustkrebs erkrankte, über ihre Erfahrungen sowie Risiken und Nutzen der Früherkennung durch Gendiagnostik
TAZ 02.05.13

Es geht um Krankheit
Der Ethikrat will kein Verbot von Bluttests zur Downsyndrom-Diagnostik
Kommentar von Matthias Kamann
DIE WELT 02.05.13

Beratung und Bestrafung
Immer mehr Menschen erhalten Zugang zu Gentests - auch solchen mit fragwürdiger Aussagekraft. Der Ethikrat warnt vor überzogenen Erwartungen und Fehlinformationen. Er fordert zugleich Strafen für die, die andere ohne deren Zustimmung genetisch untersuchen lassen.
Von Nina von Hardenberg
SUEDDEUTSCHE.DE 02.05.13

An der Lebenswirklichkeit orientieren
Zukunft der Gendiagnostik
Mit der Gendiagnostik schwere Krankheiten schnell zu besiegen: Das hat nicht geklappt. Nun warnt der Ethikrat vor einem Missbrauch des Wissens.
von Heike Haarhoff
TAZ 02.05.13

Blauäugig bei Bluttests
Im Ethikrat werden nicht überbrückbare Gräben sichtbar
Kommentar von Wolfgang Löhr
TAZ 02.05.13

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